Emmanuel Lévinas:
„Der Krieg macht die Moral lächerlich.“
Michael Seibel • Zur Begründung der Ethik bei Emmanuel Lévinas (Last Update: 24.02.2014)
Nochmals zum
Einstimmen die Textpassage „Das Selbe und das Andere“,
aus Emmanuel Lévinas Buch 'Totalität und Unendlichkeit':
»„Das wahre Leben ist abwesend.“ Aber wir sind auf
der Welt. In diesem Alibi erhebt und hält sich die Metaphysik.«
Vielleicht haben Sie
auch den Eindruck: Wenn man sich zwei mal über einen
schwierigen, aber anregenden Text unterhält, bekommt man zwei
mal unterschiedliche Aspekt in den Blick.
Wie meint Lévinas
das? „Das wahre Leben ist abwesend.“ Eher wie Adorno
(also als Kritik am 'falschen Leben', an gesellschaftlichen
Machtverhältnissen und geschichtlicher 'Entfremdung', in denen
selbst die Glücksvorstellungen der Menschen zu Konsumwünschen
verkümmern) oder eher wie ein Buddhist (als grundsätzliche
Qualifikation leidvollen Lebens, aus dem es in ein anderes, in ein
Nirwana zu erwachen gilt)?
Da ist einerseits
sein Hinweis auf die Gewalt des Krieges. Das ist ein kritisches
Motiv, eher wie bei Adorno. Dann ist da aber auch eine generelle
Öffnung des physischen Lebens für etwas Metaphysisches
gemeint, was es nach Ansicht von Lévinas im Verhältnis
zum anderen zu entdecken gilt. Das ist nicht als Kritik an wie auch
immer falschen Zuständen gemeint. Wenn es aus Sicht von Lévinas
etwas zu kritisieren gibt, dann wohl eher all die Formen des
menschlichen Zusammenlebens, in denen der Andere kaum anders
erscheinen kann, als ein anzueignendes Ding.
Dagegen nun
beschwört Lévinas die Chance, den Anderen, meinen
Nächsten, gänzlich anders wahrzunehmen. Sein
diesbezüglicher Begriff ist der Begriff des „Antlitz“,
der Blick des Anderen. Das, wovon ich derart angeblickt werde,
beschreibt er auch als „das Weibliche“.
Das war für uns
nun allerdings eine nicht auf Anhieb überzeugende Vorstellung.
Wir werden sie demnächst noch einmal genauer anzusehen haben.
Zunächst sei
festgehalten, Lévinas Grundposition ist wohl die: wenn heute,
also nach einem Krieg, der jede Moral außer Kraft gesetzt hat,
überhaupt etwas geeignet ist, eine Ethik zu begründen, dann
muss das im Verhältnis zum Anderen gefunden werden können
und kann diesem Verhältnis nicht vorausgehen. Es geht also nicht
so sehr darum, zunächst erst einmal selbst so etwas wie ein
'gefestigter Mensch' zu sein und von daher den anderen Menschen meine
eigene Moralität als Basis des Zusammenlebens anzubieten,
sondern eher genau umgekehrt. Es gibt etwas in der Begegnung mit dem
Anderen, dass ich unbedingt bedarf, um Stabilität und Moralität
zu gewinnen, um, wie Lévinas sagt, jemand zu werden, der mehr
Angst vor einem Mord als vor seinem eigenen Tod hat.
Zuvor sei bemerkt:
der Blick des Anderen ist ein zentrales Motiv im philosophischen
Denken in phänomenologischer Tradition. Es gibt ein berühmtes
Kapitel in Sartres „Das Sein und das Nichts“, in dem es
mit einem völlig anderen Ergebnis als bei Lévinas genau
darum geht (wir werden, so hoffe ich, darauf kommen) und es ist
ebenso ein wichtiges Motiv in der Psychoanalyse.
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